Das Ambulatorium des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) für Folter- und Kriegsopfer in Wabern bietet Flüchtlingen, die unter schwerem Trauma leiden, lebenswichtige psychologische Unterstützung. Diese Einrichtung, ein Pionier in der Schweiz, hilft jährlich etwa 200 Personen, von denen viele extreme Gewalt und Vertreibung erlebt haben.
Das Zentrum deckt den kritischen Bedarf an psychischen Gesundheitsdiensten unter der Flüchtlingsbevölkerung in der Schweiz ab, wobei Experten schätzen, dass die Hälfte aller im Land ankommenden Flüchtlinge an trauma-bedingten Störungen leidet.
Wichtige Erkenntnisse
- Das SRK-Ambulatorium in Wabern unterstützt jährlich etwa 200 traumatisierte Flüchtlinge.
- Rund 50% der Flüchtlinge in der Schweiz leiden an trauma-bedingten Störungen.
- Das vor 30 Jahren gegründete Zentrum war das erste in der Schweiz für Folteropfer.
- Frühzeitige Intervention und Vertrauensaufbau sind Schlüsselkomponenten der Therapie.
- Psychotherapeuten stehen vor Herausforderungen, darunter Personalfluktuation und Gefühle der Hilflosigkeit angesichts globaler Konflikte.
Umgang mit tiefsitzenden Traumata
Viele Personen, die im Ambulatorium ankommen, haben unvorstellbare Härten ertragen. Diese Erfahrungen hinterlassen dauerhafte psychologische Narben, die ihr tägliches Leben tiefgreifend beeinflussen. Das Zentrum konzentriert sich darauf, den Patienten zu helfen, diese schwierigen Erinnerungen zu verarbeiten.
Zum Beispiel repräsentiert Yusuf, ein 18-Jähriger, der vor drei Jahren als unbegleiteter Minderjähriger in die Schweiz kam, viele Patienten. Er wurde Zeuge der Ermordung seines Vaters durch die Taliban und wurde selbst Elektroschockfolter ausgesetzt. Seine Reise in die Schweiz war von Monaten schwerer Entbehrungen geprägt, darunter Hunger, Kälte, Erschöpfung und ständige Angst.
„Experten schätzen, dass die Hälfte der Flüchtlinge, die in die Schweiz kommen, an einer trauma-bedingten Störung leidet“, sagt Marianne Jossen, die kürzlich die Leitung des Ambulatoriums übernommen hat.
Diese Statistik unterstreicht den weit verbreiteten Bedarf an spezialisierter Versorgung. Die Zahlen basieren auf einer Studie, die vom Bundesamt für Gesundheit in Auftrag gegeben wurde.
Die Auswirkungen von Trauma auf das tägliche Leben
Trauma äußert sich auf verschiedene Weisen und erschwert es den Betroffenen oft, normal zu funktionieren. Yusuf zum Beispiel kämpft in Asylzentren, geplagt von nächtlichen Albträumen von Folter und Familientrennung. Es fällt ihm schwer, Freundschaften zu schließen, und er vermeidet es, über seine Familie zu sprechen.
Seine Konzentration ist schlecht, und er ist ständig angespannt, erlebt plötzliche Flashbacks seiner Folter. Diese Symptome sind bei Traumaüberlebenden häufig.
Wichtige Statistiken
- Das Ambulatorium betreut jährlich etwa 200 Patienten.
- Etwa ein Drittel der Patienten sind weiblich.
- Rund ein Viertel der Patienten ist unter 17 Jahre alt.
- Die meisten Patienten kommen aus Afghanistan, der Türkei, Syrien und Sri Lanka.
Schließlich vermittelte Yusufs Sozialarbeiter ihn an das Ambulatorium. Er begann 2023 mit der psychotherapeutischen Behandlung. Das Zentrum strebt eine möglichst frühzeitige Intervention an.
Therapeutische Ansätze und Herausforderungen
Marianne Jossen erklärt, dass Trauma von außen oft nicht sichtbar ist. „Vermeidung ist ein typisches Symptom einer posttraumatischen Belastungsstörung“, sagt sie. Chronischer Stress und Schlafmangel führen jedoch zu körperlichen Problemen wie Rückenschmerzen und Kopfschmerzen.
Das Ambulatorium priorisiert Personen, deren tägliches Leben durch ihre Erfahrungen stark beeinträchtigt ist. „Je früher die Therapie beginnt, desto höher ist die Heilungschance“, betont Jossen. Das Zentrum führt keine strikte Warteliste, da diese zu lang werden könnte und der Bedarf an Versorgung dringend ist.
Das Team des Ambulatoriums
Das Team in Wabern besteht aus acht Psychotherapeuten und fünf Sozialarbeitern. Sie bieten eine umfassende Betreuung für Patienten mit unterschiedlichem Hintergrund, hauptsächlich aus Afghanistan, der Türkei, Syrien und Sri Lanka.
Für junge Patienten wie Yusuf, der mit 15 Jahren mit der Therapie begann, geht es in der Anfangsphase darum, zu verstehen, was Psychotherapie ist. Sprachbarrieren sind häufig, weshalb Dolmetscher nicht nur Worte, sondern auch komplexe kulturelle Konzepte der psychischen Gesundheit vermitteln müssen. Zum Beispiel könnte ein Patient beschreiben, „einen Sturm im Kopf“ zu haben.
Vertrauen und Stabilität aufbauen
Valentina Achermann, eine Therapeutin im Ambulatorium, die auf Kinder und Jugendliche spezialisiert ist, betont die Bedeutung der anfänglichen Stabilisierung. „Der erste Schritt ist, den Patienten zu stabilisieren und Vertrauen aufzubauen“, erklärt sie.
Während der Therapie lernte Yusuf, dass seine Symptome normale Reaktionen auf seine traumatischen Erfahrungen waren. Ihm wurden Schlafrituale und Entspannungsübungen beigebracht, um schwierige Emotionen zu bewältigen. Die Vorstellung eines sicheren Ortes half ihm auch, sich geborgen zu fühlen.
Für einige Patienten reichen diese ersten Schritte aus, um die Kontrolle über ihr tägliches Leben zurückzugewinnen. Andere benötigen eine intensivere Behandlung, einschließlich der Konfrontation mit ihren traumatischen Erinnerungen in einer sicheren, kontrollierten Umgebung. Achermann merkt an, dass dies ein äußerst schmerzhafter Prozess sein kann.
Die Rolle der Traumaexposition
Die Traumaexpositionstherapie hilft Patienten, belastende Erinnerungen neu zu verarbeiten. Ziel ist es, die traumatischen Ereignisse in ihre Vergangenheit zu integrieren, um sicherzustellen, dass sie die Gegenwart nicht mehr dominieren. „Vergessen ist nicht das Ziel, und es ist nicht einmal möglich“, sagt Valentina Achermann.
Stattdessen zielt die Therapie darauf ab, den Patienten zu helfen, ihre Erfahrungen in ihre Lebensgeschichte einzuordnen und sich auf ihre Zukunft zu konzentrieren. Dieser Prozess ermöglicht es ihnen, voranzukommen, ohne ständig von der Vergangenheit überwältigt zu werden.
Eine Geschichte wegweisender Unterstützung
Das Schweizerische Rote Kreuz gründete das Ambulatorium vor 30 Jahren. Es war das erste „Therapiezentrum für Folteropfer“ in der Schweiz. Diese Initiative folgte einer Studie der Universität Bern, die ein erhebliches Problem aufzeigte: Jeder Vierte der damals etwa 30.000 anerkannten Flüchtlinge in der Schweiz war gefoltert worden.
Hasim Sancar, ein kurdischer Flüchtling aus der Türkei, half bei der Durchführung dieser Studie. Er interviewte 30 gefolterte Flüchtlinge. Sancar, der später für die Grüne Partei im Kantonsrat tätig war, beschrieb die Erfahrung als zutiefst bewegend. „Man ist danach nicht mehr derselbe Mensch“, erinnerte er sich.
Sancar arbeitete 15 Jahre lang als Sozialarbeiter und Therapeut im Ambulatorium. Das Zentrum suchte Expertise von bestehenden Einrichtungen in Berlin und Kopenhagen. Heute gibt es in der Schweiz vier weitere Zentren, die ähnliche Unterstützung anbieten.
Herausforderungen und politisches Engagement
Trotz der wichtigen Arbeit bleibt die Tätigkeit im Ambulatorium emotional anspruchsvoll. Eine hohe Personalfluktuation ist aufgrund der intensiven Natur der Arbeit ein anhaltendes Problem. Sancar schreibt seiner Familie, dem Sport und seinem politischen Engagement zu, dass sie ihm geholfen haben, die emotionale Belastung der Geschichten seiner Patienten zu bewältigen.
Valentina Achermann begann während ihrer Psychotherapieausbildung im Ambulatorium zu arbeiten, da ein Mangel an Spezialisten bestand. Sie gibt zu, sich angesichts globaler Konflikte hilflos zu fühlen, findet es aber schwierig zu akzeptieren, wie Flüchtlinge im Schweizer Asylsystem behandelt werden. Ihr politisches Engagement bei der Sozialdemokratischen Partei (SP) in Stadt- und Kantonsräten dient als Ventil für diese Gefühle.
Yusuf erhielt kürzlich nach langem Warten eine Aufenthaltsbewilligung. Sein psychischer Zustand hat sich seit dem Umzug in seine eigene Wohnung verbessert. Er bereitet sich nun auf eine Lehre vor, obwohl das Schicksal seiner Familie unbekannt bleibt.




