Die Delegierten der FDP im Kanton Bern haben die neuen EU-Vertragspakete mit überwältigender Mehrheit befürwortet und sich damit Bundesrat Ignazio Cassis angeschlossen. Dieser Entscheid erfolgte nach intensiven internen Diskussionen, die insbesondere eine klare Spaltung innerhalb der Berner Partei hinsichtlich der zukünftigen Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union aufzeigten.
Wichtige Erkenntnisse
- Die Berner FDP-Delegierten stimmten deutlich für die neuen EU-Vertragspakete.
- Nationalrat Christian Wasserfallen war ein prominenter Kritiker und stand in seiner Opposition weitgehend allein da.
- Die starke industrielle Basis des Kantons beeinflusste die pro-EU-Haltung massgeblich.
- Die Diskussionen waren hitzig und involvierten prominente Persönlichkeiten wie Alt-Bundesrat Johann Schneider-Ammann und Ypsomed-CEO Simon Michel.
- Die Präsidentin der FDP Kantonalpartei, Sandra Hess, äusserte sich erleichtert über das klare Ergebnis und betonte die wirtschaftlichen Vorteile.
FDP-Delegierte bekräftigen Pro-EU-Haltung
Am vergangenen Samstag haben die FDP-Delegierten im Berner Wankdorfstadion eine wegweisende Abstimmung durchgeführt. Sie unterstützten die vorgeschlagenen EU-Verträge klar. Dieses Ergebnis stärkt die Position von Bundesrat Ignazio Cassis in der Europapolitik. Die Abstimmung unterstreicht eine vorherrschende Stimmung innerhalb des Berner Parteikapitals für engere Beziehungen zur EU.
Der Entscheid war nicht ohne erhebliche interne Meinungsverschiedenheiten. Christian Wasserfallen, der einzige FDP-Nationalrat aus Bern, äusserte starken Widerstand. Er argumentierte, dass die FDP nicht ausschliesslich eine Wirtschaftspartei sei. Wasserfallen zeigte sich nach der Abstimmung enttäuscht und erklärte, er habe sich eine kritischere Haltung zu den Verträgen erhofft.
"Ich hätte mir eine kritische Haltung zu den EU-Verträgen gewünscht", so Wasserfallen. "Die Verträge stellen eine unumkehrbare Verbindung zur EU dar." Er äusserte auch Bedenken hinsichtlich einer erhöhten Migration von Nichterwerbstätigen.
Hitzige Debatten gingen der Abstimmung voraus
In der Zeit vor der Delegiertenversammlung der FDP kam es zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen prominenten Berner Parteimitgliedern. Diese Diskussionen waren teilweise nicht von einem ruhigen Ton geprägt. Ein bemerkenswertes Beispiel war ein Gastartikel des ehemaligen Bundesrates und Unternehmers Johann Schneider-Ammann in der NZZ. Er kritisierte das neue Abkommen mit der Europäischen Union.
Fakt: Berns Industriemacht
Bern gilt als der grösste Industriekanton der Schweiz. Im Jahr 2024 gingen laut dem Handels- und Industrieverein des Kantons Bern (HIV) rund 58,5 Prozent seiner Exporte in die EU.
Simon Michel, CEO des börsenkotierten Unternehmens Ypsomed mit Sitz in Burgdorf, reagierte öffentlich. Michel, der 2023 einen Nationalratssitz für Solothurn gewann, hat sich zu einem führenden nationalen Befürworter engerer EU-Beziehungen entwickelt. Er kritisierte Schneider-Ammanns Artikel auf LinkedIn und stellte dessen Urheberschaft aufgrund von gesundheitlichen Bedenken in Frage.
Michel löschte seinen Beitrag später und entschuldigte sich bei Schneider-Ammann. Dieser Vorfall unterstreicht die Intensität der Debatte innerhalb der Partei.
Führung begrüsst klares Ergebnis
Sandra Hess, Präsidentin der FDP Kantonalpartei und Berner Grossrätin, beobachtete die erhöhte Spannung an der Delegiertenversammlung. Sie hatte sich sowohl vor als auch während der Versammlung für die Verträge eingesetzt. Hess stellte fest, dass eine grosse Mehrheit der FDP-Delegierten im Kanton Bern ihre Ansicht teilte.
Hess zeigte sich zufrieden mit dem klaren Ergebnis. "Für mich ist der Vertrag ein Bekenntnis zu einer leistungsstarken Schweiz", bekräftigte sie. Sie äusserte auch ihre Erleichterung darüber, dass die FDP eine klare Position gezeigt habe. Diese Haltung spiegelt den Wunsch nach Stabilität und einem definierten Weg in den europäischen Beziehungen der Schweiz wider.
Hintergrund zu den Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz
Die Schweiz und die EU pflegen eine komplexe Beziehung, die durch zahlreiche bilaterale Abkommen geregelt ist. Die laufenden Diskussionen über neue Vertragspakete zielen darauf ab, diese Abkommen zu aktualisieren und zu konsolidieren, wobei Themen wie Marktzugang, Streitbeilegung und Personenfreizügigkeit behandelt werden. Diese Verhandlungen sind entscheidend für die wirtschaftliche Stabilität der Schweiz und ihre internationale Stellung.
Auch der einflussreiche Vorstand des Handels- und Industrievereins des Kantons Bern (HIV) unterstützte das Paket. Obwohl sie kleinere Kritikpunkte hatten, sieht der Wirtschaftsverband die Beziehung zur EU als äusserst wichtig für den Kanton an. Daniel Arn, Präsident des HIV und FDP-Grossrat, hob die zunehmende Bedeutung Europas hervor, insbesondere angesichts der jüngsten Spannungen zwischen den USA und der Schweiz.
FDP: Eine Partei mit Fokus auf die Wirtschaft
Die starke Pro-EU-Abstimmung, insbesondere in Bern, wirft die Frage auf, ob die FDP primär als Wirtschaftspartei fungiert. Sandra Hess betonte diesen Punkt. "Wir sind auf gute Beziehungen zur EU angewiesen", erklärte sie. "Wir profitieren von KMU und einer leistungsstarken Wirtschaft. Dafür brauchen wir Zugang zum EU-Binnenmarkt."
Obwohl die Parteimitglieder an der Versammlung versöhnlich wirkten, bleibt eine gewisse Unzufriedenheit bestehen. Christian Wasserfallen berichtete von einer ungewöhnlich hohen Anzahl von Austritten nach dem Entscheid. Er erwähnte ähnliche Berichte aus der Zürcher Kantonalpartei, wo Dutzende von Mitgliedern angeblich ausgetreten sind. Dies deutet darauf hin, dass ein Teil der Partei sich durch die Pro-EU-Richtung nicht vertreten fühlt.
Veränderungen der Parteimitgliedschaft
Im Kanton Bern meldete Sandra Hess nur zwei bekannte Austritte. Im Gegenzug sind bereits mehrere neue Mitglieder der Partei beigetreten. Dies deutet darauf hin, dass die Partei zwar einige Mitglieder verloren, aber auch neue Unterstützer gewonnen hat.
Die Verträge müssen noch dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Erst dann werden die Kantonalparteien ihre Positionen offiziell darlegen. Sandra Hess beabsichtigt, sicherzustellen, dass die kantonale Sektion auch in Zukunft für ein Abkommen mit der EU eintritt. Wasserfallen wollte sich zu dieser spezifischen Frage nicht äussern, was auf die fortlaufende Natur dieser Debatte hindeutet.
Ausblick: Volksabstimmung und zukünftige Strategie
Der Weg für diese EU-Vertragspakete ist noch lange nicht zu Ende. Die Delegiertenabstimmung ist ein entscheidender interner Schritt, aber die endgültige Entscheidung liegt beim Schweizer Volk. Die Kantonalparteien werden eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der öffentlichen Meinung spielen, sobald die Verträge offiziell für eine landesweite Volksabstimmung vorgelegt werden.
Die klare Haltung der FDP in Bern signalisiert eine strategische Priorisierung der Wirtschaftsbeziehungen zur EU. Dieser Ansatz steht im Einklang mit Berns Identität als wichtiger Industriekanton. Die internen Debatten zeigen jedoch den komplexen Spagat, den die Partei bewältigen muss, um unterschiedliche Interessen zu vertreten und gleichzeitig ihre Kernziele zu verfolgen.




