Hunderte von Bauarbeitern versammelten sich am Freitag in Bern, um für einen neuen nationalen Gesamtarbeitsvertrag, den Landesmantelvertrag, zu protestieren. Sie äusserten starken Widerstand gegen Vorschläge für längere Arbeitszeiten und eine wahrgenommene Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, wobei viele Berner Baustellen vorübergehend den Betrieb einstellten.
Wichtigste Erkenntnisse
- Fast 1.000 Bauarbeiter protestierten in Bern für bessere Arbeitsbedingungen.
- Der aktuelle nationale Arbeitsvertrag für 80.000 Arbeiter läuft Ende des Jahres aus.
- Gewerkschaften fordern bessere Bedingungen und verweisen auf einen wachsenden Fachkräftemangel.
- Arbeitgeber schlagen längere Arbeitszeiten und Wochenendarbeit ohne zusätzlichen Lohn vor.
- Weitere Proteste sind in der ganzen Schweiz geplant, falls keine Einigung erzielt wird.
Arbeiter fordern fairere Bedingungen inmitten eines Vertragsstillstands
An dem von den Gewerkschaften Unia und Syna organisierten Protest nahmen fast tausend Teilnehmer auf dem Berner Waisenhausplatz teil. Im Anschluss an die Kundgebung zog ein Umzug durch die Innenstadt. Viele Baustellen in und um Bern, darunter Grossprojekte wie die Sanierung des Berner Bahnhofs und das neue Polizeizentrum in Niederwangen, waren vom Streik betroffen.
Die Arbeiter trugen Transparente, die ihre Bedenken ausdrückten, wobei eine prominente Botschaft lautete: "Keine 6-Tage-Woche auf dem Bau." Diese Demonstration unterstreicht die anhaltenden Spannungen zwischen den Gewerkschaften und dem Schweizerischen Baumeisterverband, da die Verhandlungen über einen neuen nationalen Gesamtarbeitsvertrag ins Stocken geraten sind.
Fakt: Vertragsablauf
Der aktuelle Landesmantelvertrag, der rund 80.000 Schweizer Bauarbeiter abdeckt, läuft Ende dieses Jahres aus. Ohne eine neue Vereinbarung droht der Branche 2026 eine vertragslose Zeit, eine Situation, die es seit über einem Jahrzehnt nicht mehr gegeben hat.
Verhandlungen scheitern an der Überbrückung von Gräben
Die fünfte Verhandlungsrunde endete diese Woche ohne eine Lösung. Die Gewerkschaften haben vor branchenweiten Streiks ab 2026 gewarnt, falls bis Ende des Jahres keine Einigung erzielt wird. Dieses Potenzial für weitreichende Arbeitskampfmassnahmen unterstreicht die Dringlichkeit der Situation für beide Seiten.
Chris Kelley, Co-Leiter des Bausektors der Unia, sprach auf dem Waisenhausplatz zur Menge und erklärte:
"Ohne Bauarbeiter geht nichts, und das zeigen wir heute."Seine Bemerkungen betonten die entscheidende Rolle der Arbeitskräfte und ihre kollektive Macht.
Bekämpfung des Fachkräftemangels
Eine von den Baumeistern selbst in Auftrag gegebene Studie weist auf einen erheblichen Fachkräftemangel im Bausektor hin. Nico Lutz, Chefunterhändler und Geschäftsleitungsmitglied der Unia, wies darauf hin, dass jeder zweite qualifizierte Maurer die Branche verlässt. Prognosen deuten auf ein Defizit von jedem vierten qualifizierten Arbeitskraft bis 2030 hin, das bis 2040 auf jeden dritten ansteigen wird.
Trotz dieser drohenden Krise argumentieren die Gewerkschaften, dass die Arbeitgeber Bedingungen vorschlagen, die neue Talente weiter abschrecken und bestehende Arbeitskräfte an ihre Grenzen bringen würden. Das Bauvolumen wächst weiter und übt immensen Druck auf die derzeitige Belegschaft aus.
Hintergrund: Belastung der Arbeitnehmer
Bauarbeiter sind oft anspruchsvollen Bedingungen ausgesetzt, darunter Arbeitstage von bis zu neun Stunden in der Sommerhitze, erhebliche Überstunden und lange Reisezeiten zu abgelegenen Baustellen. Die Gewerkschaften argumentieren, dass diese Faktoren die Mitarbeiter an ihre physischen und mentalen Grenzen bringen.
Arbeitgebervorschläge unter der Lupe
Laut Gewerkschaftsvertretern versucht der Schweizerische Baumeisterverband, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Die wichtigsten Vorschläge der Arbeitgeber umfassen:
- Zulassung von bis zu 400 Überstunden jährlich.
- Samstag als regulären Arbeitstag ohne zusätzlichen Lohn festzulegen.
- Weiterhin die Verweigerung bezahlter Morgenpausen (Znünipause), die in anderen Branchen Standard sind.
Darüber hinaus wollen die Arbeitgeber Berichten zufolge die Reisezeiten zu Baustellen formalisieren, die aufgrund interregionaler Verträge umfangreich sein können. Sie schlagen vor, dass bis zu zweieinhalb Stunden täglicher Reisezeit berücksichtigt werden könnten, wobei eine halbe Stunde davon unbezahlt wäre.
Löhne und Einstiegsgehälter
Lutz bestritt auch die Vorstellung, dass die Baubranche die höchsten Löhne nach der Lehre bietet. Er erklärte, dass die Baumeister beabsichtigen, die Einstiegsgehälter um ein Viertel zu senken. Dieser Schritt könnte, falls umgesetzt, den Fachkräftemangel weiter verschärfen, indem er den Beruf für Neueinsteiger weniger attraktiv macht.
Gewerkschaftsvertreter bestätigen, dass die Arbeitgeberseite in fünf Verhandlungsrunden keine Flexibilität in ihren Positionen gezeigt hat. Diese Starrheit hat zum aktuellen Stillstand und den organisierten Protesten geführt.
Landesweite Proteste geplant
Der Berner Protest ist Teil einer Reihe von Aktionen in der ganzen Schweiz. Der erste Protesttag fand am 20. Oktober im Tessin statt. Nach Bern sind nächste Woche ähnliche Demonstrationen in der Westschweiz (Romandie) und der Nordwestschweiz geplant, gefolgt von Zürich.
Diese Aktionen zielen darauf ab, die Forderungen der Gewerkschaften zu verstärken und Druck auf die Arbeitgeber auszuüben, ihre Vorschläge zu überdenken. Die weitreichende Natur der Proteste deutet auf eine geeinte Front unter den Bauarbeitern im ganzen Land hin.
Standpunkt des Arbeitgebers
Der Schweizerische Baumeisterverband wird nächste Woche seine Delegiertenversammlung abhalten, um die nächsten Schritte zu besprechen. Sie halten an ihrem Wunsch fest, die wöchentliche Arbeitszeit bei 40,5 Stunden zu belassen und plädieren für flexible Arbeitszeiten. Diese Flexibilität, so argumentieren sie, würde es den Baustellen ermöglichen, witterungsbedingte Ausfallzeiten zu kompensieren. Der Verband versichert, dass Samstagsarbeit nur ausnahmsweise erfolgen würde und dass sie sich für gute Arbeitsbeziehungen einsetzen. Sie schlagen auch ein Langzeitkonto zum Ansparen von Überstunden vor.
Die Baumeister bekräftigten, dass die laufenden Protestaktionen gegen den bestehenden Vertrag und die Friedenspflicht verstossen. Die Gewerkschaften argumentieren jedoch, dass die Schwere der vorgeschlagenen Änderungen solche Massnahmen rechtfertigt.
Die kommenden Wochen werden entscheidend sein für die Zukunft der Arbeitsbeziehungen in der Schweizer Baubranche, wobei beide Seiten angesichts der Jahresendfrist an ihren Positionen festhalten.




