Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren bleiben in der Schweiz, insbesondere im Kanton Bern, eine grosse Herausforderung. Diese Interaktionen führen oft zu Sachschäden und starken emotionalen Reaktionen. Peter Juesy, der ehemalige Berner Jagdinspektor, beleuchtet die anhaltenden Schwierigkeiten und mögliche Lösungen für ein Zusammenleben.
Wichtigste Erkenntnisse
- Wildschweine verursachen im Kanton Bern die meisten materiellen Schäden.
- Interaktionen zwischen Mensch und Wildtier lösen starke emotionale Reaktionen und Konflikte aus.
- Schutzbemühungen haben verschiedenen Greifvogelarten zur Erholung verholfen.
- Nachhaltiges Management und Dialog sind entscheidend für ein Zusammenleben.
Frühe Konflikte mit dem Luchs in Bern
Im Februar 2000 erhielt Peter Juesy, damals Jagdinspektor des Kantons Bern, ein anonymes Paket. Es enthielt vier Luchspfoten. Dieses Ereignis unterstrich die tiefe emotionale Spannung, die mit Mensch-Wildtier-Konflikten verbunden ist.
Luchse wurden in den 1970er Jahren nach ihrer Ausrottung in der Schweiz wieder angesiedelt. Bis 1990 wuchs ihre Population im Kanton Bern, insbesondere im westlichen Berner Oberland, schnell an. Dieser Anstieg führte zu mehr Angriffen auf Nutztiere.
„Das war im Februar 2000“, erinnert sich Juesy. „Sehr unangenehm.“ Er beschrieb es als ein typisches Beispiel für einen Nachbarschaftskonflikt zwischen Menschen und Wildtieren.
Luchswilderei
Zwischen 1999 und 2002 wurden im Kanton Bern etwa 15 Luchse illegal getötet. Diese Zahl beinhaltet nicht die Dunkelziffer. Trotz rechtlicher Schritte der Jagdinspektion wurden nie Täter gefasst.
Der Kanton Bern ergriff Massnahmen zur Entspannung der Lage. Im Jahr 2000 entwickelte er zusammen mit 15 weiteren Kantonen das erste Schweizer Luchs-Konzept. Dieser Plan enthielt Richtlinien für die legale Entnahme von Luchsen, die Schäden verursachten. Juesy bemerkte, dass der Kanton in diesem Jahr fünf Luchse legal entnahm, was zur Beruhigung der Situation bezüglich dieser Art beitrug.
Die polarisierende Präsenz von Wölfen
Trotz der Bemühungen, die Luchsbestände zu verwalten, bleibt die emotionale Intensität um grosse Raubtiere hoch. Insbesondere der Wolf erzeugt starke Meinungen. Seine Population in der Schweiz ist in den letzten zehn Jahren erheblich gewachsen.
„Das Thema Wolf in der Natur polarisiert die Meinungen“, bestätigt Juesy. „Befürworter argumentieren oft, dass Wölfe eine wichtige Rolle im Ökosystem spielen, indem sie Beutepopulationen regulieren und so das natürliche Gleichgewicht aufrechterhalten.“
Wachstum der Wolfspopulation
Die Wolfspopulation in der Schweiz hat in den letzten 10 Jahren einen erheblichen Anstieg verzeichnet. Dieses Wachstum bringt sowohl ökologische Vorteile als auch neue Herausforderungen für menschliche Gemeinschaften mit sich.
Gegner der Wolfspräsenz äussern oft Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von Weidetieren. Landwirte sehen Wölfe als Bedrohung für ihre Herden, was zu wirtschaftlichen Verlusten führen kann. Auch die Auswirkungen auf die Jagdpraktiken werfen kritische Fragen auf, da Wölfe das Verhalten von Wildtieren verändern können, was die Jagd erschwert.
Lösungen für ein Zusammenleben suchen
Juesy ist der Meinung, dass die Lösung in einer „nachhaltigen, präventiven Regulierung“ liegt. Die Schweiz hat in den letzten drei Jahren ein solches System eingeführt, das auf den eidgenössischen Jagdvorschriften basiert. Dieser Ansatz zielt darauf ab, den Wildtierschutz mit den menschlichen Interessen in Einklang zu bringen.
„Der Schutz der Wölfe sowie die Interessen der Bauern und Jäger müssen berücksichtigt werden“, betont Juesy. „Dialog und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Interessengruppen sind entscheidend, um ein nachhaltiges Zusammenleben zu fördern.“
Lucyan David Mech, ein US-amerikanischer Wildtierökologe, hat das Verhalten von Wildwölfen umfassend untersucht. Er stellt fest, dass es keine einfache Formel für das Management grosser Raubtiere gibt. Mech schlägt vor, dass diejenigen, die Wölfe wirklich schätzen, sie als faszinierende Teile von Ökosystemen sehen sollten, nicht als unantastbare Ikonen.
„Wir müssen diese Arten managen, mit allem, was dazugehört. Zonierung, Jagdeingriffe und Management statt Denkverbote“, fügt Mech hinzu. „Dann werden diese Tiere eine langfristige Zukunft haben.“
Kulturelle Wahrnehmungen von Wildtieren
Peter Juesy führt einen Teil der starken Emotionen um den „bösen Wolf“ auf kulturelle und historische Faktoren zurück. Über Jahrhunderte hinweg wurden Wölfe in Geschichten, Mythen und religiösen Texten als Symbole für Gefahr und Böses dargestellt. Diese Narrative prägen die öffentliche Wahrnehmung.
Dämonisierte Greifvögel
Historisch gesehen waren viele Greifvögel in der Schweiz einer ähnlichen Dämonisierung ausgesetzt. Der Bartgeier, der Tierknochen frisst, wurde fälschlicherweise als „Lämmergeier“ bezeichnet und bis zur Ausrottung gejagt. Bis zum frühen 20. Jahrhundert waren alle Greifvogelarten in der Schweiz aufgrund von Verfolgung, Lebensraumverlust und Umweltverschmutzung stark gefährdet oder verschwunden.
In den letzten Jahrzehnten gab es jedoch erfolgreiche Schutzbemühungen. Dazu gehören neue Gesetze und Vogelschutzinitiativen. Juesy erklärt, dass der Schutz von Lebensräumen und das Verbot der Greifvogelverfolgung zur Stabilisierung ihrer Populationen beigetragen haben.
Verbesserte Bedingungen für Greifvögel
Die Rückkehr zu Naturlandschaften, ein Rückgang des Pestizideinsatzes und die Schaffung von Naturschutzgebieten haben sich positiv auf das Nahrungsangebot und die Brutbedingungen für Greifvögel ausgewirkt. Die Schweiz weist laut Juesy heute die weltweit höchste Dichte an Rotmilanen auf.
Auch Schleiereulen und Steinkäuze haben von gezieltem Schutz profitiert. Allerdings sind nicht alle zurückkehrenden Arten willkommen. Der Gänsegeier beispielsweise bleibt ein kontroverses Thema.
Wildschweine verursachen die meisten Schäden
Interessanterweise sind Wölfe nicht für die meisten materiellen Schäden im Kanton Bern verantwortlich. Juesy stellt fest, dass Wildschweine die grössten Verluste verursachen, gefolgt von Rothirschen.
Wildschweine schädigen hauptsächlich landwirtschaftliche Kulturen im Seeland und im Berner Jura. Im Jahr 2018 kostete dies den Kanton 132'000 Schweizer Franken. Zunehmende Rothirschpopulationen führen zu mehr Schäden in Schutzwäldern und der Landwirtschaft. Im Jahr 2013 zahlte der Kanton 96'000 Schweizer Franken Entschädigung für Wildschäden.
Viele Wildtierarten in der Schweiz können zu Konflikten mit Menschen führen. Dazu gehören Feldmäuse, Spitzmäuse, Füchse, Dachse, Baummarder, Saatkrähen, Rabenkrähen, fischfressende Vögel wie Graureiher, Gänsesäger, Kormorane, Rothirsche, Wildschweine und Biber.
„Diese Liste ist nicht erschöpfend“, bemerkt Peter Juesy, der das Buch „Jagd und Wildtiere im Kanton Bern“ mitverfasst hat. Er fügt hinzu: „Wo Wildtiere vom Menschen bewirtschaftete Landschaften nutzen und gestalten, sind Konflikte unvermeidlich.“
Das Buch identifiziert vier Hauptkonfliktbereiche:
- Siedlungsgebiete: Arten wie Füchse, Baummarder, Dachse, Saatkrähen und verwilderte Tauben verursachen Sachschäden, Lärm, Verschmutzung, Gartenschäden und können Krankheiten verbreiten. Lösungen umfassen Information und Prävention.
- Landwirtschaft: Wildschweine, Dachse, Murmeltiere, Saatkrähen, Rabenkrähen, Luchse und Wölfe verursachen Frassschäden, Ernteschäden, Angriffe auf Nutztiere und Grabtätigkeiten. Prävention, Entschädigung und Regulierung sind Schlüssellösungen.
- Wälder: Rehe und Rothirsche verursachen Frassschäden und Schäden im Zusammenhang mit sozialem Verhalten. Lösungen umfassen Prävention, Waldbewirtschaftung und Wildtierregulierung.
- Gewässer: Biber, Gänsesäger und Kormorane verursachen Frassschäden und Grabtätigkeiten. Prävention, Entschädigung und Intervention sind gängige Ansätze.
Juesy erklärt, dass die menschlichen Interessen in jedem dieser Lebensräume unterschiedlich sind. Dies führt zu unterschiedlichen Konfliktpotenzialen mit Wildtieren. Daher sind unterschiedliche Lösungen notwendig.
Vielfältige Lösungen für komplexe Herausforderungen
Die Strategien und Massnahmen zur Vermeidung oder Lösung dieser Konflikte sind vielfältig. „Eines der wichtigsten Instrumente ist die Jagdgesetzgebung“, sagt Juesy. Diese Gesetzgebung bietet mögliche Massnahmen oder Interventionen zum Schutz von Wildtieren und menschlichen Interessen.
Können Menschen und Wildtiere langfristig koexistieren? „Es muss“, betont Juesy. „Wir teilen uns dieselben Lebensräume.“ Er räumt ein, dass die Herausforderungen erheblich sind und erhebliche Anstrengungen erfordern, um ein harmonisches Zusammenleben zu gewährleisten und die Biodiversität zu erhalten.
„Die Anpassung der Landwirtschaft und die Umsetzung geeigneter Managementstrategien werden entscheidend sein, um Konflikte mit Wildtieren in Zukunft zu minimieren“, schliesst Peter Juesy. „Ein besseres Verständnis der Bedürfnisse und Verhaltensweisen von Wildtieren kann dazu beitragen, Konflikte zu reduzieren und ein harmonischeres Zusammenleben zu fördern.“




