Die Schweiz, oft als Vorreiterin im Klimaschutz angesehen, steht vor einer erheblichen Herausforderung durch „graue Emissionen“ – die Treibhausgase, die durch importierte Güter und Dienstleistungen entstehen. Diese Emissionen, die in der aktuellen Klimapolitik weitgehend übersehen werden, sind mehr als doppelt so hoch wie die nationalen Emissionen des Landes. Eine neue Konferenz in Bern zielt darauf ab, dieses kritische Thema in den Fokus zu rücken und rechtliche sowie politische Strategien zu seiner Bewältigung zu erörtern.
Wichtige Erkenntnisse
- Die „grauen Emissionen“ der Schweiz sind doppelt so hoch wie ihre nationalen Emissionen.
- Diese Emissionen stammen aus importierten Gütern und Dienstleistungen wie Lebensmitteln, Textilien und digitalen Medien.
- Das aktuelle Klimagesetz zielt primär auf nationale Emissionen ab und lässt Importe unberücksichtigt.
- Die 2. Berner Klimarechtskonferenz wird diese Lücke am 30. Oktober 2025 thematisieren.
- Experten aus verschiedenen Bereichen werden rechtliche und politische Lösungen diskutieren.
Das Ausmass der grauen Emissionen in der Schweiz
Die nationalen Treibhausgasemissionen der Schweiz sind seit 1990 um etwa 25 % gesunken. Diese Reduktion steht im Gegensatz zu globalen Trends. Dieses positive Bild ändert sich jedoch dramatisch, wenn man die grauen Emissionen berücksichtigt.
Graue Emissionen beziehen sich auf den CO₂-Fussabdruck, der mit der Produktion, Nutzung und Entsorgung importierter Dienstleistungen und Produkte verbunden ist. Dies umfasst alles, von den Lebensmitteln auf unseren Tellern und der Kleidung, die wir tragen, bis hin zu den digitalen Medien, die wir konsumieren. Auch Mobilitäts- und Infrastrukturimporte tragen erheblich dazu bei.
Erstaunliche Statistik
Die grauen Emissionen der Schweiz werden auf rund 75 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente jährlich geschätzt. Diese Zahl ist mehr als doppelt so hoch wie die nationalen Emissionen des Landes, die derzeit bei etwa 41 Millionen Tonnen liegen.
Thomas Frölicher, Professor für Klima- und Umweltphysik am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) der Universität Bern, hebt die einzigartige Situation hervor. „Als finanzstarkes, aber ressourcenarmes Land importiert die Schweiz vergleichsweise viele Güter“, erklärt Frölicher. Diese Abhängigkeit von Importen macht den proportionalen Anteil der grauen Emissionen der Schweiz zu einem der höchsten weltweit.
Ein rechtlicher blinder Fleck für die Klimapolitik
Trotz ihres erheblichen Umfangs haben graue Emissionen in öffentlichen Diskussionen über den Klimaschutz bisher wenig Beachtung gefunden. Dieser Mangel an Fokus erstreckt sich auch auf rechtliche Rahmenbedingungen, so die Klimarechtsexpertin Charlotte Blattner.
Blattner, Professorin am Centre de droit public der Universität Lausanne und assoziierte Forscherin am OCCR, weist auf eine kritische Gesetzeslücke hin. „Das Klimaschutzrecht adressiert primär die nationalen Emissionen“, stellt sie fest. „Graue Emissionen hingegen befinden sich in einem rechtlichen Graubereich, wo Verantwortung und Zuständigkeit bisher unzureichend geregelt sind.“
„Das Klimaschutzrecht adressiert primär die nationalen Emissionen. Graue Emissionen hingegen befinden sich in einem rechtlichen Graubereich, wo Verantwortung und Zuständigkeit bisher unzureichend geregelt sind.“
Diese Übersehung bedeutet, dass ein erheblicher Teil des gesamten CO₂-Fussabdrucks der Schweiz von bestehenden Klimapolitiken und -vorschriften weitgehend unberücksichtigt bleibt. Der rechtliche Rahmen muss sich weiterentwickeln, um die globale Natur moderner Lieferketten und Konsummuster zu erfassen.
Die 2. Berner Klimarechtskonferenz: Lösungen suchen
Um dieses komplexe Thema anzugehen, wird sich die 2. Berner Klimarechtskonferenz ausschliesslich den grauen Emissionen widmen. Die Veranstaltung findet am Donnerstag, 30. Oktober 2025, von 9:15 Uhr bis 17:00 Uhr an der Universität Bern, im Kuppelraum des Hauptgebäudes, Hochschulstrasse 4, 3012 Bern, statt.
Die Konferenz wird von Charlotte Blattner mitorganisiert, die auch als Rednerin auftreten wird. Professor Thomas Frölicher wird ebenfalls seine Forschung präsentieren. Die Veranstaltung wird führende Forscher, Vertreter von Regierungsverwaltung, Industrie und Nichtregierungsorganisationen zusammenbringen.
Über das Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR)
Das OCCR ist ein strategisches Zentrum der Universität Bern, das interdisziplinäre Klimawissenschaften fördert. 2007 gegründet und nach dem Pionier der Klimaforschung Hans Oeschger benannt, vereint es Forschende aus 14 Instituten und vier Fakultäten, um das Verständnis des Klimawandels voranzutreiben.
Das Hauptziel der Konferenz ist es, graue Emissionen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Die Teilnehmer werden die rechtlichen und politischen Wege erkunden, um diesen oft verborgenen Aspekt des Klimawandels anzugehen. Die Diskussionen sollen konkrete Schritte und politische Empfehlungen für die Schweiz identifizieren, um ihren importierten CO₂-Fussabdruck effektiver zu steuern.
Der Weg nach vorne für die Schweiz
Die Bewältigung grauer Emissionen erfordert eine Verschiebung in der Art und Weise, wie die Schweiz Klimapolitik angeht. Es geht über nationale Grenzen hinaus, um die globalen Auswirkungen von Konsumentscheidungen zu berücksichtigen. Dies umfasst alles, vom Netflix-Schauen und dem Verzehr tropischer Früchte bis zum Kauf von Fast Fashion.
Die Konferenz stellt einen entscheidenden Schritt dar, um diese externalisierten Emissionen in die nationale Klimaagenda zu integrieren. Durch die Zusammenführung verschiedener Interessengruppen soll die Veranstaltung ein umfassendes Verständnis fördern und umsetzbare Strategien entwickeln.
- Datum: Donnerstag, 30. Oktober 2025
- Zeit: 9:15 Uhr bis 17:00 Uhr
- Ort: Universität Bern, Kuppelraum, Hauptgebäude, Hochschulstrasse 4, 3012 Bern
- Medienzugang: Kostenlos (Anmeldung erbeten bis Montag, 27. Oktober 2025, via [email protected])
Die Diskussionen auf der 2. Berner Klimarechtskonferenz könnten die Grundlage für neue rechtliche und politische Rahmenbedingungen legen. Diese Rahmenbedingungen würden darauf abzielen, die Schweiz für ihren gesamten CO₂-Fussabdruck verantwortlich zu machen, einschliesslich der Emissionen, die ausserhalb ihrer Grenzen entstehen. Dieser ganzheitliche Ansatz ist unerlässlich, damit das Land seinen Ruf als Klimavorreiterin bewahren und seine langfristigen Umweltziele erreichen kann.




