Die Schweizer Strassenverkehrsämter verzeichnen erhebliche Rückstände bei den obligatorischen Fahrzeugkontrollen. Schweizweit sind derzeit rund 780'000 Fahrzeuge nicht geprüft. Dies entspricht 11,2 Prozent der fast sieben Millionen in der Schweiz registrierten Fahrzeuge. Das Bundesamt für Strassen (Astra) hat die Kantone aufgefordert, diese Verzögerungen zu beheben, und dabei grosse regionale Unterschiede hervorgehoben.
Wichtigste Erkenntnisse
- 780'000 Fahrzeuge in der Schweiz sind überfällig für die Kontrolle.
- Dieser Rückstand betrifft 11,2 Prozent des gesamten Fahrzeugbestands des Landes.
- Die Zahl der ungeprüften Fahrzeuge ist seit Frühling 2023 um 30 Prozent gestiegen.
- Kantone wie Schaffhausen, Aargau und Zürich weisen die höchsten Kontrollrückstände auf.
- Der Bund hat Kantone mit erheblichen Rückständen verwarnt.
Wachsende Kontrollrückstände in der ganzen Schweiz
Die Pflicht zur regelmässigen Fahrzeugkontrolle ist in der eidgenössischen Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge (VTS) festgelegt. Diese Kontrollen überprüfen kritische Komponenten wie Bremsen, Lichter, Lenkung und Emissionswerte. Die Einhaltung dieser Vorschriften stockt jedoch derzeit.
Laut Sven Britschgi, Geschäftsführer der Vereinigung der Strassenverkehrsämter (ASA), ist die Zahl der überfälligen Fahrzeuge rapide gestiegen. Im Frühling 2023 waren rund 600'000 Fahrzeuge ungeprüft. Diese Zahl ist nun auf 780'000 gestiegen, was einem Anstieg von 30 Prozent entspricht.
Schlüsselstatistik
Die Gesamtzahl der Fahrzeuge in der Schweiz hat seit dem Jahr 2000 um über 40 Prozent zugenommen. Dieses Wachstum trägt massgeblich zu den aktuellen Herausforderungen bei den Kontrollen bei.
Gründe für die Verzögerungen
Mehrere Faktoren tragen zum wachsenden Rückstand bei. Ein Hauptgrund ist der allgemeine Anstieg des Fahrzeugbestands in der Schweiz. Seit 2000 ist die Gesamtzahl der registrierten Fahrzeuge erheblich gewachsen. Die COVID-19-Pandemie spielte ebenfalls eine Rolle, da in dieser Zeit weniger Kontrollen durchgeführt wurden, was bestehende Verzögerungen verschärfte.
Darüber hinaus ist das Durchschnittsalter des Schweizer Fahrzeugbestands auf 10,5 Jahre gestiegen. Ältere Fahrzeuge erfordern häufigere Kontrollen, was die Kontrollkapazitäten zusätzlich belastet. Auch der Gebrauchtwagenmarkt hat eine erhöhte Aktivität erfahren, was dazu führt, dass mehr ältere Fahrzeuge regelmässige Überprüfungen benötigen.
„Das Durchschnittsalter des Fahrzeugbestands in der Schweiz hat überproportional zugenommen“, betonte Sven Britschgi und hob die Auswirkungen auf die Kontrollanforderungen hervor.
Kantonale Unterschiede bei der Einhaltung
Das Ausmass des Kontrollrückstands variiert erheblich zwischen den Schweizer Kantonen. Daten des Bundesamtes für Strassen (Astra) zeigen eine grosse Bandbreite an Leistungen.
Kantone mit geringem oder keinem Rückstand
- Freiburg
- Neuenburg
- Beide Basler Kantone
- Zentralschweizer Kantone (Schwyz, Uri, Obwalden, Nidwalden)
Diese Kantone zeigen ein besseres Management ihrer Kontrollpläne.
Im Gegensatz dazu stehen mehrere Kantone vor erheblichen Verzögerungen:
- Schaffhausen: 25,5 Prozent der Fahrzeuge ungeprüft
- Aargau: 19 Prozent der Fahrzeuge ungeprüft
- Zürich: Rund 18 Prozent der Fahrzeuge ungeprüft
- Glarus: Rund 18 Prozent der Fahrzeuge ungeprüft
- Tessin: 16 Prozent der Fahrzeuge ungeprüft
- Jura: 15 Prozent der Fahrzeuge ungeprüft
Im Aargau wurde der Rückstand teilweise durch die Renovierung einer Kontrollhalle nach der Pandemie verursacht. Der Kanton nutzt nun eine zweite, provisorische Halle und delegiert einige Kontrollen an den Automobilgewerbeverband, um den Rückstand abzubauen.
Der Kanton Bern, mit einem Rückstand von 11 Prozent, verfolgt einen risikobasierten Ansatz. Stephan Lanz, Leiter des Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamtes Bern, bestätigte, dass sicherheitskritische Fahrzeuge wie Taxis, Lastwagen und Busse pünktlich kontrolliert werden. Das Amt plant, bis 2029 20 zusätzliche Stellen für Verkehrsexperten zu beantragen und die Rekrutierung anzupassen, um ausscheidende Mitarbeiter schneller zu ersetzen.
Intervention des Bundes und Sicherheitsbedenken
Das Bundesamt für Strassen (Astra) hat Massnahmen ergriffen, um die zunehmenden Verzögerungen zu beheben. Im Oktober 2023 erinnerte Astra die Kantone an die Einhaltung der Kontrollvorschriften. Anfang Juli sandte Astra Briefe an 14 Kantone mit einem Rückstand von über fünf Prozent. Die Briefe betonten, dass „nur ordnungsgemäss immatrikulierte und geprüfte Fahrzeuge auf Schweizer Strassen zugelassen sind“. Die Kantone wurden auch aufgefordert, geeignete Massnahmen zu identifizieren und den Bund über ihre Pläne und Zeitpläne zu informieren.
Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit
Astra erklärt, dass Fahrzeughalter und Fahrer dafür verantwortlich sind, dass ihre Fahrzeuge stets sicher sind und die Emissions- und Lärmstandards erfüllen. Statistiken zeigen, dass nur ein Prozent der Unfälle auf technische Mängel oder mangelhafte Wartung zurückzuführen sind. Dies deutet auf ein relativ hohes Mass an Eigenverantwortung bei Schweizer Fahrern hin.
Sven Britschgi warnt jedoch, dass die Auswirkungen auf die Unfallstatistik verzögert eintreten könnten. Er ist der Meinung, dass der zunehmende Kontrollrückstand mittelfristig die Verkehrssicherheit beeinträchtigen wird, auch wenn die aktuellen Statistiken dies noch nicht zeigen. Obwohl die freiwillige Wartungsdisziplin bei Schweizer Fahrzeughaltern hoch ist, gibt es Anzeichen, dass sie abnehmen könnte. Konkrete Daten zu diesem Trend stehen noch aus.
Politische Perspektiven zu Kontrollintervallen
Politiker haben unterschiedliche Ansichten über die Schwere des Kontrollrückstands.
Gabriela Suter, SP-Nationalrätin aus dem Aargau, bezeichnet die Situation als besorgniserregend für die Verkehrssicherheit. Sie warnt vor Autos mit versteckten technischen Mängeln auf den Strassen. Suter betont die Bedeutung regelmässiger Kontrollen für ältere Fahrzeuge und solche, die jährlich viele Kilometer fahren. Sie schlägt auch vor, dass Kontrollen sicherheitsrelevante Assistenzsysteme, wie die automatische Distanzregelung, einschliessen sollten, angesichts der zunehmenden Digitalisierung moderner Autos. Suter erwägt, einen parlamentarischen Vorstoss zu diesem Thema einzureichen.
„Besonders wichtig wäre es, dass ältere Autos und solche, die viele Kilometer im Jahr fahren, regelmässig kontrolliert werden“, erklärte Gabriela Suter und hob die Notwendigkeit aktualisierter Kontrollrichtlinien hervor, um moderne Fahrzeugtechnologie abzudecken.
Umgekehrt ist Christian Imark, SVP-Nationalrat aus Solothurn, der Ansicht, dass längere Kontrollintervalle kein Problem darstellen. Er argumentiert, dass die aktuellen Kontrollprozesse oft übertrieben seien. „Ich sehe es bei meinen Fahrzeugen; alle sind in sehr gutem Zustand und brauchen keine unnötigen Kontrollen in kurzer Kadenz“, sagte Imark. Er betrachtet jede Kontrollaufforderung als bürokratisch und kostspielig und vermutet eine „Kontrollwut“, die von finanziellen Motiven angetrieben wird.
Imark weist auch darauf hin, dass viele festgestellte Mängel nicht sicherheitsrelevant sind. Er plädiert für mehr Eigenverantwortung bei Schweizer Fahrern und erklärt: „Herr und Frau Schweizer haben ihre Fahrzeuge im Griff.“ Er hinterfragt die Notwendigkeit, dass die Schweiz ein „Musterknabe“ bei Fahrzeugkontrollen sein muss, im Vergleich zu anderen Ländern, wo die Fahrzeugstandards möglicherweise niedriger sind.




