Der Bau der zweiten Gotthard-Strassentunnelröhre verzögert sich erheblich, und Experten üben scharfe Kritik am Bundesamt für Strassen (Astra). Brancheninsider vermuten, dass der Vortrieb im Südabschnitt um bis zu zwei Jahre zurückliegen könnte. Dies widerspricht den öffentlichen Aussagen des Astra, wonach das Eröffnungsziel 2030 weiterhin erreichbar sei. Die Probleme resultieren aus unerwarteten geologischen Bedingungen, die früh im Projekt auftraten.
Wichtigste Erkenntnisse
- Die zweite Gotthard-Strassentunnelröhre könnte sich um bis zu zwei Jahre verzögern.
- Experten kritisieren Astra dafür, trotz geologischer Warnungen eine Tunnelbohrmaschine eingesetzt zu haben.
- Schwierige Bodenverhältnisse führten zum Stillstand der Maschine 'Paulina' und zu einem Wechsel der Baumethode.
- Zusätzliche Kosten von bis zu 20 Millionen Schweizer Franken und eine Verzögerung von acht Monaten sind bereits entstanden.
- Das geplante Fertigstellungsjahr 2030 ist für den Südabschnitt nun fraglich.
Südabschnitt steht vor grossen Rückschlägen
Anfang dieses Sommers stoppte die Tunnelbohrmaschine namens 'Paulina' nach nur 192 Metern. Das Gestein erwies sich als zu brüchig für diese Methode. Dies zwang Astra, ihren Bauansatz zu ändern. Anstatt die Maschine zu verwenden, graben die Arbeiter den Tunnel nun durch kontrollierte Sprengungen. Diese Umstellung hat zu erhöhten Kosten und Verzögerungen geführt.
Nach ersten Schätzungen hat diese Änderung zusätzliche Kosten von bis zu 20 Millionen Schweizer Franken verursacht. Sie hat auch eine Verzögerung von etwa acht Monaten zur Folge. Astra behauptet, dass der geplante Eröffnungstermin für den gesamten Tunnel unverändert bleibt. Viele Branchenexperten sind jedoch skeptisch. Sie warnen vor viel grösseren Problemen, insbesondere im südlichen Teil des Tunnels.
„Wenn schon bei der Sondierbohrung ein Bohrloch nicht hält, ist das ein Warnsignal“, sagte Adrian Pfiffner, ehemaliger Geologieprofessor an der Universität Bern.
Der Südabschnitt könnte eine Bauverzögerung von bis zu zwei Jahren erfahren. Ein Grund dafür ist der deutlich erhöhte Personalbedarf. Die Arbeiten werden nun rund um die Uhr, sieben Tage die Woche fortgesetzt, anstelle des ursprünglichen Fünf-Tage-Zwei-Schicht-Betriebs.
Tunnelspezifikationen
- Länge: 16,9 Kilometer
- Kosten: Über zwei Milliarden Schweizer Franken
- Voraussichtliche Fertigstellung: 2030
- Baumethode: Gleichzeitiger Vortrieb von Nord und Süd
Der Nordabschnitt des Tunnels schreitet planmässig voran. Alle grösseren Probleme konzentrieren sich auf den Südabschnitt, nahe dem Portal Airolo.
Frühe Warnungen lagen vor
Der Stillstand der Tunnelbohrmaschine war nicht völlig unerwartet. Mehrere Warnungen waren zuvor ausgesprochen worden. Die Maschine blieb laut einem SRF-«Rundschau»-Bericht bereits nach fünf Metern stecken. Ein Hohlraum hatte sich gebildet und die Maschine mit Gestein blockiert. Sie blieb einen Monat lang stillgelegt. Astra hat diesen ersten Vorfall nicht öffentlich bekannt gegeben.
Dasselbe Problem trat bei Tunnelmeter 192 erneut auf. Diesmal war der Hohlraum noch grösser. Geologen hatten viel früher Warnzeichen identifiziert. Im Jahr 2016 brach bei der sogenannten Tremola-Serie von Sondierbohrungen ein Bohrloch zusammen. Dieser Vorfall hätte auf mögliche Schwierigkeiten hinweisen müssen.
Geologische Berichte wiesen auf Risiken hin
Bereits 2018 empfahl ein 150-seitiger geologischer Bericht einen anderen Ansatz. Er riet davon ab, für die ersten 200 bis 400 Meter am Südportal in Airolo eine Bohrmaschine zu verwenden. Stattdessen schlug er aufgrund des instabilen Bodens vor, für diesen ersten Abschnitt Sprengungen einzusetzen.
Was ist eine Tunnelbohrmaschine?
Eine Tunnelbohrmaschine (TBM) ist ein komplexes Gerät, das zum Vortrieb von Tunneln eingesetzt wird. Sie verfügt über ein rotierendes Schneidrad an der Vorderseite, das Gestein und Boden zerkleinert. TBMs sind effizient unter stabilen geologischen Bedingungen, können aber in zerklüftetem oder weichem Untergrund Schwierigkeiten haben, was zu Blockaden oder Schäden führen kann.
Ein zweiter geologischer Bericht aus dem Jahr 2020 warnte ebenfalls vor schwierigen Bedingungen. Dieser Bericht hob insbesondere die ersten 200 bis 400 Meter, möglicherweise sogar bis zu 700 Meter, vom Airolo-Portal hervor. Er besagte, dass die Gesteinsschichten in diesem Bereich wahrscheinlich gelockert und weniger stabil seien.
Trotz dieser klaren Warnungen empfahl derselbe Bericht von 2020 immer noch den Einsatz einer Tunnelbohrmaschine in diesem Abschnitt. Diese Empfehlung hat viele Geologieexperten überrascht.
Experten hinterfragen Astra-Entscheidung
Der Geologe Hans-Rudolf Keusen, der zahlreiche geologische Berichte verfasst hat, findet die Entscheidung des Astra rätselhaft. „Es ist nicht nachvollziehbar, warum man die Tunnelbohrmaschine zugelassen hat“, erklärte er.
„Die Gefahr ist im Bericht wortwörtlich erwähnt – und trotzdem steht in einer Tabelle: Wir werden einen Tunnelbohrmaschinen-Vortrieb machen. Ich bin völlig perplex“, sagte Adrian Pfiffner.
Sowohl Keusen als auch Pfiffner betonen, dass unterschiedliche Expertenmeinungen bei komplexen Projekten normal sind. Ein so fundamentaler Widerspruch ohne klare Begründung sei jedoch höchst ungewöhnlich. Sie vermuten, dass die geologischen Warnungen bei der endgültigen Entscheidung über die Vortriebsmethode entweder übersehen oder heruntergespielt wurden.
Astra verteidigt sein Vorgehen
Trotz der wiederholten Warnungen entschied sich Astra, im Bereich der Tremola-Serie mit der Tunnelbohrmaschine fortzufahren. Guido Biaggio, Vizedirektor des Astra, verteidigte diese Wahl. Er erklärte, dass die Entscheidung in Zusammenarbeit mit Geologen und anderen Spezialisten getroffen wurde.
„Es gibt immer ein gewisses Restrisiko“, erklärte Biaggio. „Wir können keinen Tunnel ohne Restrisiken bauen.“ Er fügte hinzu, dass die Entscheidung auf detaillierten geologischen Berichten basierte. Diese Berichte, so behauptete er, hätten gezeigt, dass der Einsatz der Bohrmaschine für den Abschnitt grundsätzlich machbar sei.
Die anhaltenden Probleme verdeutlichen die Komplexität und die inhärenten Risiken grosser Infrastrukturprojekte, insbesondere solcher, die schwierige geologische Bedingungen beinhalten. Die Debatte über die Verantwortung für die Verzögerungen und erhöhten Kosten im Zusammenhang mit der zweiten Gotthard-Tunnelröhre dauert an.