Bern debattiert eine bedeutende Änderung im Umgang mit Schwarzfahren im öffentlichen Verkehr. Das Stadtparlament hat kürzlich einen Vorstoss gutgeheissen, der darauf abzielt, zu verhindern, dass Menschen, die mit Armut kämpfen, wegen unbezahlter ÖV-Bussen ins Gefängnis müssen. Diese Initiative soll Bedenken hinsichtlich der Kriminalisierung von Armut und der Überbelegung von Justizvollzugsanstalten entgegenwirken, obwohl ihre praktischen Auswirkungen umstritten bleiben.
Wichtige Erkenntnisse
- Das Berner Stadtparlament hat dafür gestimmt, mittellose Personen nicht mehr wegen unbezahlter ÖV-Bussen einzusperren.
- Die Massnahme zielt darauf ab, die Überbelegung der Gefängnisse zu reduzieren und das Schwarzfahren für Armutsbetroffene zu entkriminalisieren.
- Kritiker argumentieren, die neue Regel werde nur minimale Auswirkungen auf die Gefängniskapazität haben.
- Das kantonale Amt für Justizvollzug berichtet, dass kantonsweit jährlich nur etwa 120 Personen ausschliesslich wegen Schwarzfahrens inhaftiert werden.
- Bernmobil setzt bereits Massnahmen um, um Personen mit registrierten Sozialadressen keine Bussen auszustellen.
Stadtparlament genehmigt Vorstoss für Veränderung
Das Berner Stadtparlament hat einem Vorstoss der Grünen Freien Liste (GFL) zugestimmt. Dieser Vorstoss schlägt vor, dass Personen, die in Armut leben, nicht mehr ins Gefängnis geschickt werden sollen, weil sie Bussen im Zusammenhang mit Schwarzfahren im öffentlichen Verkehr nicht bezahlen können.
Derzeit können unbezahlte Bussen für das Fahren im öffentlichen Verkehr ohne gültiges Ticket in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt werden. Das bedeutet, eine Person könnte im Gefängnis landen, wenn sie die ursprüngliche Busse nicht bezahlen kann.
Faktencheck
Laut dem Amt für Justizvollzug werden im Kanton Bern jährlich etwa 120 Personen ausschliesslich wegen unbezahlter ÖV-Bussen inhaftiert.
Entkriminalisierung des Schwarzfahrens für Armutsbetroffene
Befürworter des Vorstosses argumentieren, dass die derzeitigen strengen Praktiken zur Überbelegung der Berner Gefängnisse beitragen. Sie behaupten auch, dass Bernmobil, der lokale öffentliche Verkehrsbetreiber, strenge Inkasso- und Strafregeln hat, die die Situation verschärfen.
Die GFL-Fraktion setzt sich für die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens ein, insbesondere für diejenigen, die sich kein Ticket leisten können.
„Wir können Menschen nicht kriminalisieren, nur weil sie sich kein Ticket leisten können“, erklärte Michael Burkard (GFL), Hauptunterzeichner des Vorstosses.
Burkard betont die Notwendigkeit eines mitfühlenderen Umgangs mit Menschen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
Opposition von Mitte- und Rechtsparteien
Der Vorstoss erhielt keine Unterstützung von der Mitte, FDP oder SVP. Sie räumten die Frage ein, ob Gefängnisstrafen für solche Vergehen angemessen sind, sprachen sich jedoch gegen eine einfache Aufhebung der Kontrollen ohne alternative Lösungen aus.
Nicolas Lutz (Mitte) kommentierte während der Stadtratssitzung, dass die Idee, solche Handlungen nicht zu kriminalisieren, zwar verdienstvoll sei, ein einfaches Einstellen der Kontrollen jedoch keine praktikable Option sei.
„Ich bin dagegen, bestimmte Personengruppen von Bussen auszunehmen“, sagte SVP-Stadtrat Alexander Feuz. „Das würde zum Beispiel bedeuten, dass armutsbetroffene Menschen auch keine Parkbussen erhalten sollten. Das geht nicht – das wäre eine Ungleichbehandlung.“
Feuz besteht darauf, dass das Gesetz für alle gleich gelten muss, unabhängig von ihrer finanziellen Situation.
Begrenzte Auswirkungen auf die Gefängnisüberbelegung erwartet
Trotz der Abstimmung im Stadtparlament glauben Beamte des kantonalen Amts für Justizvollzug, dass die neue Massnahme kaum Auswirkungen auf die Gefängnisüberbelegung haben wird. Olivier Aebischer, Kommunikationsleiter des Amtes, lieferte Daten zu diesem Thema.
Aebischer erklärte, dass die 120 Personen, die jährlich wegen Schwarzfahrens inhaftiert werden, aus dem gesamten Kanton stammen, nicht nur aus der Stadt Bern. Diese Zahl umfasst auch diejenigen, die von anderen Betreibern wie SBB oder Postauto gebüsst wurden.
Ersatzfreiheitsstrafen verstehen
Eine Ersatzfreiheitsstrafe ist eine gesetzliche Bestimmung, bei der eine unbezahlte Busse in eine Haftstrafe umgewandelt wird. Dieses System soll sicherstellen, dass gerichtliche Strafen durchgesetzt werden, auch wenn die finanzielle Zahlung nicht erfolgt.
Wenn all diese Personen von der Inhaftierung befreit würden, würde laut Aebischers Berechnungen nur ein Gefängnisplatz pro Jahr frei werden. Dies liegt daran, dass viele Fälle von Schwarzfahren keine eigenständigen Vergehen sind.
„In den meisten Fällen tritt das Fahren ohne gültiges Ticket zusammen mit anderen Straftaten auf“, bemerkte Aebischer. Das bedeutet, dass viele Personen, die wegen Schwarzfahrens im Gefängnis sitzen, auch wegen anderer Verbrechen eine Strafe verbüssen, und ihre Freilassung würde keinen dedizierten Gefängnisplatz freimachen.
Bestehende Praktiken von Bernmobil
Auch der Gemeinderat lehnte den Vorstoss der GFL ab. Verkehrsdirektor Matthias Aebischer (SP) erklärte, dass Bernmobil bereits daran arbeitet, Personen, von denen bekannt ist, dass sie in Armut leben, keine Bussen auszustellen.
Wird eine Person mit Berner Wohnsitz ohne Ticket erwischt, prüft Bernmobil, ob eine Sozialadresse für sie registriert ist. Ist eine solche Adresse hinterlegt, verzichtet der Verkehrsbetreiber auf die Busse.
- Bernmobil prüft auf registrierte Sozialadressen.
- Bussen werden erlassen, wenn eine Sozialadresse bestätigt wird.
- Diese Praxis zielt darauf ab, Armutsbetroffene nicht zu bestrafen.
„Aus meiner Sicht geht Bernmobil mit der nötigen Sorgfalt und Sensibilität vor und agiert im gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen“, kommentierte Matthias Aebischer. Dies deutet darauf hin, dass der Verkehrsbetreiber bereits Mechanismen implementiert hat, um die Auswirkungen auf gefährdete Bevölkerungsgruppen zu mildern.
Die Diskussion verdeutlicht eine Spannung zwischen der Durchsetzung von ÖV-Regeln und der Bewältigung der sozialen Herausforderungen der Armut. Während die Entscheidung des Stadtparlaments den Wunsch nach humaneren Politiken widerspiegelt, bleiben die praktischen Auswirkungen auf die Gefängniskapazität und die rechtliche Gleichheit komplex.




