Die Berner Behörden haben Forderungen nach einer Rehabilitation der Anführer des Schweizer Bauernkriegs von 1653, die wegen ihrer Rolle im Aufstand hingerichtet wurden, zurückgewiesen. Diese Entscheidung erfolgt trotz neuer Forderungen einer kürzlich gegründeten Vereinigung und von Mitgliedern des Grossen Rates nach einem Denkmal und einer offiziellen Anerkennung der historischen Persönlichkeiten. Die Regierung argumentiert, dass ein Vergleich von Justizsystemen des 17. Jahrhunderts mit modernen Standards nicht angemessen sei, und äussert Bedenken, einen Präzedenzfall für eine umfassende Rehabilitationspraxis zu schaffen.
Wichtige Erkenntnisse
- Die Berner Behörden richteten 1653 nach einem Aufstand 23 Bauernführer hin.
- Eine neue Vereinigung fordert die Rehabilitation dieser Anführer und ein Denkmal in Bern.
- Die Berner Regierung lehnt die Rehabilitation ab und verweist auf Unterschiede zwischen historischen und modernen Rechtssystemen.
- Historiker und Beamte warnen davor, vergangene Ereignisse nach heutigen Massstäben zu beurteilen.
Forderungen nach Gerechtigkeit und einem Denkmal
Die Bewegung zur Rehabilitation der hingerichteten Bauernführer begann mit Nachfahren von Bendicht Spring, einer Schlüsselfigur des Aufstands. Sie erhielt weitere Unterstützung von Mitgliedern des Berner Grossen Rates, insbesondere von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Evangelischen Volkspartei (EDU). Nun fordert eine neue Vereinigung, „In Memoriam 1653 – Rehabilitation der frühen Demokratiebewegung“, formell die Rehabilitation dieser historischen Persönlichkeiten.
Die Vereinigung schlägt auch die Errichtung einer Gedenkstätte in Bern vor. Sie plant ein Veranstaltungsprogramm für 2028, zum 375. Jahrestag des Bauernkriegs. Diese Initiativen sollen die historische Bedeutung der Bauernführer und ihres Kampfes anerkennen.
Der Huttwiler Bund von 1653
Die Vereinigung betrachtet den Huttwiler Bund, der am 14. Mai 1653 von den rebellischen Bauern angenommen wurde, als Gründungsdokument der modernen Schweizer Demokratie. Dieser Bund, unterzeichnet von Untertanen aus Bern, Luzern, Solothurn und Basel, forderte mehr als nur niedrigere Steuern und Abgaben. Er verlangte auch Versammlungsfreiheit, Organisationsrechte, politische Beteiligung und eine Ablehnung willkürlicher Herrschaft. Die Bauern gelobten sich zudem gegenseitige Unterstützung.
Der unmittelbare Auslöser des Aufstands war eine Abwertung der Berner Batzen-Währung, die das Vermögen der Bauern stark beeinträchtigte. Die Rebellen belagerten daraufhin Bern. Die Behörden stimmten zunächst wirtschaftlichen Forderungen im Murifeld-Vertrag zu. Im Gegenzug gaben die Bauern politische Forderungen auf und legten ihre Waffen nieder.
„Der Huttwiler Bund stellt nichts weniger als die eigentliche Gründungsgeschichte der heutigen modernen Schweizer Demokratie dar“, so die Vereinigung In Memoriam 1653.
Historische Tatsache
Nach dem Murifeld-Vertrag brach das Ancien Régime seine Versprechen. Die Behörden schlugen den Aufstand brutal nieder, was zur Hinrichtung von 45 „Rädelsführern“ in den Rebellengebieten führte. Davon wurden 23 in Bern hingerichtet, wahrscheinlich auf dem Galgenfeld.
Hinrichtungen und Massengräber
Die hingerichteten Bauern wurden oft als Abschreckung hängen gelassen, bis ihre Körper zerfielen. Bei Notgrabungen im Jahr 2009, vor dem Bau der Siedlung Schönberg Ost, wurden Massengräber entdeckt. Diese Gräber enthielten die Überreste von über 400 Personen. Einige Überreste wurden auf das 17. Jahrhundert datiert, was sie mit der Zeit des Bauernkriegs in Verbindung bringt.
Der Archäologe Armand Baeriswyl erklärte 2009, wie die Galgen auf dem Galgenfeld ausgesehen hätten. Diese Funde unterstreichen die brutale Realität, mit der die Rebellen konfrontiert waren. Die neuen Forderungen nach einem Denkmal zielen darauf ab, dieser Ungerechtigkeiten zu gedenken.
Historischer Kontext
Der Schweizer Bauernkrieg von 1653 war ein Volksaufstand ländlicher Untertanen der Alten Eidgenossenschaft gegen ihre regierenden Stadtbehörden. Er wurde durch Währungsabwertung und erhöhte Steuern ausgelöst. Trotz anfänglicher Zugeständnisse wurde der Aufstand schliesslich von Regierungstruppen niedergeschlagen.
Regierung lehnt Rehabilitation ab
Die Berner Regierung anerkennt den positiven Einfluss der Handlungen der Bauernführer auf die Entwicklung der Demokratie. Dies wurde in ihrer Antwort auf den SVP/EDU-Vorstoss festgehalten. Die Regierung hält die Rehabilitation dieser Anführer jedoch für „nicht angemessen“.
Der Regierungsrat argumentiert, dass historische Bedingungen nicht genau nach heutigen Massstäben gemessen werden können. Vor der Aufklärung waren Untertanen-Herrscher-Beziehungen in ganz Europa üblich. Das damalige Strafrecht, obwohl nach modernen Massstäben hart, entsprach den damals geltenden Gesetzen. Mord, Totschlag und Beteiligung an Aufständen waren mit dem Tode strafbar.
Rechtliche Perspektive
Bis zur Abschaffung der Todesstrafe im Jahr 1861 richteten die Berner Behörden Hunderte von Menschen hin. Obwohl diese Hinrichtungen nach heutigen Massstäben als ungerecht gelten, befürchtet die Regierung, dass die Rehabilitation einzelner Bauernführer zu einer „unüberschaubaren Rehabilitationspraxis“ führen könnte. Dies könnte den Zweck eines solchen Instruments schwächen.
Historikerperspektiven zur Rehabilitation
Der Historiker André Holenstein unterstützt die Bedenken der Regierung. Er merkt an, dass man in der Geschichte „immer Opfer finden“ und dies nutzen könne, um aktuelle Forderungen zu rechtfertigen. Holenstein weist darauf hin, dass neben Hinrichtungen Hunderte von Bauern anderen Strafen ausgesetzt waren. Dazu gehörten Zwangsumsiedlung auf venezianische Galeeren oder hohe Geldstrafen. „Einige wenige Anführer zu rehabilitieren, wäre nicht genug“, sagt er.
Holenstein ist wie die Regierung der Meinung, dass es unangebracht ist, vergangene Zustände nach heutigen Kriterien zu beurteilen. Er betont, dass Staatsformen, Normen und Rechtssysteme nicht vergleichbar waren. „Hochverrat war damals immer mit der Todesstrafe belegt.“
„Es gibt keine naive Geschichtspolitik“, sagt André Holenstein, emeritierter Professor für Schweizer Geschichte. „Hinter historisch begründeten Forderungen stehen immer politische Interessen der Gegenwart.“
Holenstein findet es bemerkenswert, dass Forderungen nach Rehabilitation nun aus dem rechten politischen Spektrum kommen. Er vermutet, dass die Rechte von linken Forderungen gelernt haben könnte, die kolonialen Verstrickungen des Ancien Régime aufzuarbeiten. Johann Ulrich Grädel (EDU), Grossrat und Präsident von In Memoriam 1653, stellt diese Verbindung explizit her. Er argumentiert, dass, wenn Bern Verantwortung für seine koloniale Vergangenheit übernimmt, es auch die Schweizer Freiheitsbewegung ehren sollte. Beides, so sagt er, gehöre zu einer „ausgewogenen Erinnerungskultur“.
Denkmäler und politische Symbolik
Einzelne Bauernführer haben bereits heute Denkmäler. So gibt es beispielsweise Denkmäler für Niklaus Leuenberger in Rüderswil, Huttwil und Sumiswald. Sowohl In Memoriam 1653 als auch der Vorstoss von Nils Fiechter (SVP) fordern jedoch ein zentrales Denkmal in Bern.
Fiechter kritisiert die Stadt dafür, dass sie das Galgenfeld stillschweigend in Schönberg Ost umbenannt hat. Dies geschah, als auf den ehemaligen Massengräbern eine Überbauung für die obere Mittelschicht errichtet wurde. „Es gibt in der Stadt kein Bewusstsein für das dort begangene Unrecht“, so Fiechter. Sowohl Fiechter als auch die Vereinigung betonen, dass ihre Ziele nicht ideologisch sind. Stattdessen wollen sie einen einzigartigen und bedeutenden Wendepunkt in der Schweizer Geschichte würdigen.
Adrian Wüthrich, der SP-Gemeindepräsident von Huttwil, ist das einzige linke Vorstandsmitglied von In Memoriam 1653. Er stimmt der historischen Bedeutung zu. „Soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie sind absolut linke Anliegen und heute relevanter denn je“, sagt Wüthrich. Er betont die Bedeutung der Vertretung Huttwils in der Vereinigung, und als Gemeindepräsident ist er für das Standortmarketing verantwortlich.
Wüthrich äussert offen seinen Wunsch, Huttwil zu einem „neuen Rütli“ zu machen. Eine Idee ist, den Huttwiler Bund auszustellen. Eine andere ist, eine Statue von Niklaus Leuenberger in Huttwil zu errichten, „so gross wie die Tell-Statue in Altdorf“. Wüthrich findet es besonders reizvoll, dass Leuenberger als „Bauern-General“ immer eine rote Weste trug, fügt er mit ironischem Unterton hinzu.




